Man müsste Russisch sprechen können. Nur, um auch noch die letzten der unendlich feinen Nuancen erspüren zu können, mit denen dieses famose Duo seine musi- kalische Reise durch die Wort-Ton-Landschaften der Herren Tschaikowsky, Rachmaninow, Rimski-Korsakow und Mussorgsky durchzieht. Denn in ihrer Liebeserklärung an das russische Lied erkunden die Zwillingsschwestern Zoryana und Olena Kushpler die Seelenwelt der Komponisten mit weiten Legatobögen, gemeinsam erfühlter Agogik und einer üppig gestaffelten Farbpalette. Die Mezzosopranistin und die Pianistin aus dem ukrainischen Lemberg erschaffen in den Romanzen eine atmosphärische Raffinesse, die der schwärmerischen Leidenschaft wie der tiefen Trauer der Texte beredten Ausdruck verleiht. Der berührt eben auch all jene, die des Russischen gar nicht mächtig sind und die sich einfach einlassen auf die unerhörte Liedkunst der beiden jungen Damen. „Wenn
man jedem Wort Bedeutung beimisst und die Musik wirklich durchdringt, erreichen die Lieder bestimmt viele Menschen“, sagt die Sängerin.
Nicht nur auf der gerade erschienen Debüt- CD der Kushpler-Schwestern kann man sich nun von der klug kalkulierten Mezzo-Sinnlichkeit von Zoryana und dem gleichsam impressionistisch duftenden Klavierspiel von Olena betören lassen – ein Konzertauftritt der Geschwister im Rahmen des SHMF bie- tet die Möglichkeit, den Höreindruck live zu vertiefen. Neben dem Liedzyklus Die Kin- derstube von Modest Mussorgsky, der auch auf der CD enthalten ist, werden die passio- nierten Musikerinnen in Travemünde dann u.a. Mahler-Lieder aus Des Knaben Wunder- horn aufführen. Über die künstlerische Symbiose des Geschwisterpaars sagt Zoryana: „Eigentlich haben wir ja schon im Mutterleib gemeinsam Musik gehört, schließlich sind unsere Mutter Pianistin und unser Vater Opernsänger – genau die Konstellation, in der wir nun gemeinsam auftreten. Wir erhielten dieselbe Grundausbildung in Musik, haben einfach dasselbe Gespür als Menschen und als Musiker. Etwas Besseres kann ich mir nicht vorstellen.“ Gerade für die intime Kunstform des Liedes ist dieses ohne Worte auskommende musikalische Einverständnis natürlich die ideale Voraussetzung. Während Olena Kushpler nun aber überzeugte Wahl-Hamburgerin und deshalb im Norden des Öfteren als Kammermusikerin mit dem Bonnard-Trio oder als Solistin zu erleben ist, bietet der Festivalauftritt die durchaus seltene Gelegenheit, die Pianistin gemeinsam mit ihrer Schwester Zoryana zu hören. Zwar hat die Sängerin wie Olena ihre Ausbildung an der Hamburger Musikhochschule vervollkommnet, doch ihr festes Engagement an der Wiener Staatsoper lässt nur begrenzten Raum, um mit ihrer musikalischen Lieblingspartnerin Liederabende zu geben. Nachdem die Mezzosopranistin als Ensemblemitglied am Stadttheater Bern zwischen 2004 und 2006 bereits bedeutende Fachpartien gesungen hat, kann Zoryana Kushpler in Wien nun ihr Opernrepertoire erweitern, an der Seite von Weltstars wie Thomas Hampson ihr Talent unter Beweis stellen und auch sonst aus dem Vollen schöpfen: Denn die Donaumetropole ist schließlich die Musikstadt schlechthin. Wer dort lebt, kann sich eben auch in Gustav Mahlers Lieder so intensiv einfühlen, als wären sie Musik der eigenen Heimat. „Schließlich kann ich in Wien Mahlers Grab besuchen. Er wurde zu einem meiner Lieblingskomponisten, der einen besonderen Platz in unserem Repertoire einnimmt. Wie gern würde ich auch eine CD mit seinen Liedern aufnehmen.“