„Russischer Weltschmerz“

HAMBURGER ABENDBLATT VON CLEMENS MATUSCHEK

Kushpler-Zwillinge in der Musikhalle

Zoryana und Olena Kushpler sind der lebende und klingende Beweis für die oft zitierte Musikalität, die in der Familie liegt. Die Zwillinge aus dem ukrainischen Lemberg – Mezzosopranistin die eine, Pianistin die andere – brachten nach ihrem letztjährigen Gastspiel bei den „teatime classics“ nun in der Solo-Reihe Lieder in der kleinen Musikhalle vorzugsweise russische Komponisten zu Gehör. Der programmatische Heimvorteil zahlte sich aus: Eine derart beseelte Interpretation hört man nicht alle Tage. Nach Rachmaninows dramatischer Romantik wirkten Schostakowitschs „Sechs Gedichte von Marina Zwetaewa“ in ihrer kühnen Kargheit umso erschütternder. Einzig vier Mahler-Lieder standen dem russischen Weltschmerz etwas hilflos gegenüber. Musikalisch freilich gabs nichts auszusetzen: Zoryana Kushplers Koloratur-Mezzosopran entfaltet sich herrlich, nuanciert in allen Lagen des beachtlichen Stimmumfangs und hätte den Großen Saal als Klangraum nicht nur locker gefüllt, sondern auch verdient. Ihre Schwester Olena steuert einen souveränen Klavierpart bei und weiß auch solistisch mit traumwandlerisch perlenden Rachmaninow-Preludes zu überzeugen. Das musikalische Talent beider, im durch Geschwisterliebe geförderten perfekten Zusammenspiel vereint, ergab so einen genussreichen Abend. Nach drei Zugaben blieb die Erkenntnis, dass Russisch auch ohne übersetzendes Textheft eine wunderschöne (Sing-)Sprache ist und den Kushpler-Schwestern wohl eine große Karriere bevorsteht.